Über die Dummheit
«Der Mensch wird unwissend geboren: Er kommt aber nicht dumm auf die Welt und wird es auch nicht ohne Anstrengung»
So schrieb der mit Voltaire befreundete Philosoph Claude-Adrien Helvétius in seinem posthum erschienen Werk „Vom Menschen, seinen geistigen Fähigkeiten und seiner Erziehung“
Dummheit ist demnach nicht ein Mangel an geistigen Fähigkeiten, sondern sie ist eine Leistung eigener Art; sie ist eine Kunst, nämlich die, den eigenen Verstand so einzusetzen, dass dabei bestimmt keine richtige Einsicht über die Verhältnisse herauskommt. Das Grundprinzip ist einfach: die Verhältnisse werden nicht weiter hinterfragt, sondern die Gedanken drehen sich einzig um das Zurechtkommen in ihnen. Schwierigkeiten können nicht ausbleiben, und die zu meistern, ohne gedanklich auf Gründe, die in den Verhältnissen liegen, zu stoßen, erfordert dann meist doch einige Anstrengung. Hier bewährt sich die Kunst der Dummheit - eine Kunst, in der manche Zeitgenossen eine erstaunliche Virtuosität entwickelt haben.
Für den in den Verhältnissen befangenen gemeinen Verstand stellt es sich andersherum dar: für ihn gilt als dumm und unverständlich, was nicht restlos im Bemühen um Anpassung aufgeht.
Nach Kant ist bekanntlich Aufklärung der Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Demnach ist Dummheit das freiwillige Beharren in der Unmündigkeit. Sowohl Kant wie auch der Aufklärer Helvetius denken dabei in erster Linie an die Bevormundung durch die Kirche. Heute ist an die Stelle, die einst Kirche und Religion eingenommen haben, die Verehrung von Nation und Marktwirtschaft getreten. Das ist es, worin beim heutigen bürgerlichen Individuum Unmündigkeit und Dummheit letztlich ihre Grundlage haben.
Zu diesem Thema gab es einmal ein Teach-in, zu dem der hier präsentierte Stichpunkte-Zettel verteilt wurde.
Anmerkung: bei dem auf dem Zettel erwähnten “Psychologie-Buch” handelt es sich um
“Die Psychologie des bürgerlichen Individuums”, München, 4. Auflage 1990, ISBN 3-922935-00-1